Durch die Integration von Gendermedizin in Forschung, klinische Praxis und Gesundheitspolitik können genauere Diagnosen gestellt, effektivere Behandlungen entwickelt und die Gesundheitsversorgung insgesamt verbessert werden. Es geht darum, eine personalisierte Medizin zu fördern, die die individuellen Unterschiede zwischen Männern und Frauen berücksichtigt, um eine bessere Patientenversorgung zu gewährleisten.

 

Gut zu wissen…

Laut Bericht zur Gesundheitlichen Lage der Frauen in Deutschland des Robert-Koch-Instituts, sind Herz-Kreislauf-Erkrankungen auch weiterhin die häufigste Todesursache bei Frauen und Männern. Dennoch gelten Herz-Kreislauf-Erkrankungen auch weiterhin als eher „männliche“ Erkrankungen und Frauen unterschätzen häufig ihr Erkrankungsrisiko. Frauen bekommen im Durchschnitt später einen Herzinfarkt als Männer und haben häufig andere SymptomeSymptomAnzeichen oder Merkmale einer KrankheitZum Glossar-Eintrag. Bei Frauen und Männern sind Sterblichkeit und Neuerkrankungen an koronarer Herzkrankheit aufgrund verbesserter Therapien und eines gesundheitsbewussteren Verhaltens zurückgegangen.

 

Mehr Unterschiede

Frauen leiden überproportional häufig an Arthrose im Knie, Schilddrüsenproblemen oder Autoimmunerkrankungen. Aber auch vor Herz-Kreislauf-Problemen bleiben sie nicht verschont, und das Risiko steigt nach der Menopause deutlich an.

Männer und Frauen unterschieden sich nicht nur in Bezug auf Anatomie, Physiologie, Hormonspiegel und Genetik. Diese Unterschiede können sich auf die Entstehung, den Verlauf und die Behandlung von Krankheiten auswirken.

Gesundheitsverhalten:

Männer und Frauen können unterschiedliche Gesundheitsverhaltensweisen an den Tag legen, die die Prävention, DiagnoseDiagnoseKrankheitsbestimmungZum Glossar-Eintrag und Behandlung von Krankheiten beeinflussen. Zum Beispiel suchen Frauen möglicherweise eher ärztliche Hilfe auf oder befolgen ärztliche Ratschläge häufiger.

Soziale und kulturelle Einflüsse:

Geschlechtsrollen, soziale Erwartungen und kulturelle Faktoren können sich auf den Zugang zur Gesundheitsversorgung, die Akzeptanz von Symptomen und die Bereitschaft zur Inanspruchnahme medizinischer Hilfe auswirken.

Hormonelle Einflüsse:

Hormone spielen eine entscheidende Rolle in der Gesundheit, und geschlechtsspezifische Hormonunterschiede können Auswirkungen auf die Entwicklung von Krankheiten wie Diabetes, Osteoporose und bestimmten Krebsarten haben.

Arzneimittelwirkung:

Männer und Frauen können unterschiedlich auf Medikamente reagieren. Dosierungen und Behandlungsansätze müssen möglicherweise an das Geschlecht angepasst werden, um eine optimale Wirksamkeit und Sicherheit zu gewährleisten.

KrankheitsprävalenzKrankheitsprävalenzKrankheitshäufigkeitZum Glossar-Eintrag und -manifestation:

Einige Krankheiten treten bei Männern oder Frauen häufiger auf, oder sie manifestieren sich unterschiedlich. Ein Beispiel ist die Herzerkrankung, die sich bei Frauen oft anders präsentiert als bei Männern, was zu einer verzögerten oder falschen DiagnoseDiagnoseKrankheitsbestimmungZum Glossar-Eintrag führen kann.

 

Umdenken beginnt im Kopf

Laut Bericht zur Gesundheitlichen Lage der Frauen in Deutschland des Robert-Koch-Instituts spielen Geschlechterunterschiede auch bei psychischen Störungen eine Rolle. Bei der Entstehung psychischer Erkrankungen zählen biologische, psychische und soziale Faktoren genauso wie genetische Veranlagung oder hormonbedingte zu den Ursachen. Daneben können weitere Ursachen wie Gewalterfahrungen psychische Störungen begünstigen.

Aber auch bei der Diagnosestellung werden Unterschiede berichtet: Es gibt Hinweise darauf, dass Ärzt*innen bei gleichen Symptomen bei Frauen häufiger psychische Störungen diagnostizieren, bei Männern dagegen eher körperliche Ursachen annehmen.

Übrigens…

Laut RKI-Bericht weisen die wenigen vorliegenden Informationen zur psychischen Gesundheit von lesbischen, bisexuellen und transgeschlechtlichen Frauen auf gesundheitliche Ungleichheiten im Vergleich zur heterosexuellen und cisgeschlechtlichen Bevölkerungsgruppe hin. Depressionen treten zum Beispiel doppelt so häufig auf, das Suizidrisiko ist erhöht.

Weder die sexuelle Orientierung noch die geschlechtliche Identität an sich sind allerdings Risikofaktoren für psychische Erkrankungen. Es sind die Lebensverhältnisse und gesellschaftlichen Bedingungen, in denen die Frauen leben. Die Gleichstellung mit heterosexuellen und cisgeschlechtlichen Frauen stellt hierbei einen Schutzfaktor dar. Ebenfalls die größere gesellschaftliche Akzeptanz von LBTIQ-Personen.

 

Gendergerechte Medizin hilft allen

Eigentlich sollte es selbstverständlich sein, bei einer geschlechter-repräsentativen Untersuchung um medizinische Wirkung und Nebenwirkung, die Anteile der Proband*innenProband*innenVersuchspersonZum Glossar-Eintrag daran zu orientieren, wie häufig die Krankheit tatsächlich bei Männern und Frauen auftritt. Bislang haben allerdings eher männliche Probanden, Denkweisen und Entscheidungen die Gesellschaft geprägt. Der Mann wurde zum „Standardmensch“.

 

Die Politik hat bereits vor Jahren reagiert: Bei der Entwicklung und Forschung noch nicht zugelassener Arzneimittel fordert die US-Arzneimittelbehörde Food and Drug Administration (FDA) seit 1993 die Berücksichtigung beider Geschlechter bei klinischen Studien. In der EU bzw. in Deutschland ist die Ermittlung möglicher Unterschiede zwischen Frauen und Männern im Rahmen klinischer Studien seit 2001 beziehungsweise 2004 gesetzlich vorgeschrieben.

 

Medizin für alle

Doch reichen die Zahlen der Freiwilligen nicht aus, um die Geschlechterverteilung in klinischen Studien repräsentativ darzustellen und auch nicht dafür, die tatsächlich zu behandelnden Subgruppen in der Bevölkerung abzubilden.

Die Forschung mag dadurch vielleicht komplizierter und kostenintensiver werden. Letztlich liefert das aber bessere Daten – für alle Geschlechtsidentitäten.